Am 21. Mai 2022 fand im Centrum Dentale Communication der Firma Dentaurum die Landesversammlung des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte statt. Der baden-württembergische Landesvorsitzende Dr. Joachim Härer konnte im Vorfeld mit einer Podiumsgespräch punkten: Junge Zahnärztinnen und Zahnärzte berichteten von ihrem Praxisalltag. „Freiberuflichkeit in attraktiven Lebensmodellen" war die spannende Diskussion überschrieben.

Teilnehmer Podiumsdiskussion

Mit einem Impulsvortrag führte die stellvertretende Bundesvorsitzende des FVDZ Dr. Gudrun Kaps-Richter in die mit Spannung erwartete Podiumsdiskussion ein. Anhand von jüngst erhobenen Zahlen erläuterte sie u.a. die Motive junger Zahnmediziner*innen für eine Teilzeittätigkeit bzw. für eine reduzierte Stundenzahl. Dabei ergab sich, dass 75 Prozent der Frauen sich von einer 30-Stunden-Woche vor allem mehr Vereinbarkeit von Beruf und Familie versprechen, 66 Prozent der jungen Männer mehr Möglichkeiten für die Freizeitgestaltung. Als Determinante für die Niederlassung nannten Männer und Frauen bei der Befragung an erster Stelle die Verfügbarkeit von Personal, den guten Arbeitsplatz für Partnerin oder Partner und die Aussicht, Chef/Chefin im eigenen Betrieb zu sein. Frauen maßen außerdem der flexiblen Arbeitszeit und der Kinderbetreuung einen wichtigen Stellenwert bei. Der Verdienst allerdings spielte nur an nachgeordneter Stelle eine Rolle.

Interessante Struktur
Was die Befragung außerdem ergab: Baden-Württemberg ist ein interessanter Standort für eine Niederlassung, denn nur 37 Prozent der Zahnärzte*innen sind hierzulande über 55 Jahre alt. Diese gesunde Struktur ermöglicht es, allmählich in eine Selbständigkeit einzusteigen. Dafür schilderte Dr. Kaps-Richter verschiedene Modell, die neben den Klassikern Neugründung und Praxisübernahme ebenfalls denkbar sind: Das Junior-Senior-Modell, der Ein- oder Beitritt in bereits vorhandene Strukturen, die Übernahme eines eigenen Patientenstammes. Als erfahrene Zahnärztin in eigner Praxis gab sie den jungen Niederlassungswilligen den Rat, daran zu denken, dass eine Berufstätigkeit länger dauert als die Zeiten der Kinderziehung. Es ist daher nötig, mehr als die kommenden zehn Jahre im Blick zu haben, auch wenn es um die Altersvorsorge geht. Außerdem sollte man sich bei der Niederlassung nicht zu lange Zeit lassen, bis Mitte 30 sollte die Entscheidung gefallen sein.

Work-Life-Balance
Der stellvertretende Landesvorsitzende Kai Boller leitete die sich anschließende Podiumsdiskussion, an der Dr. Bianca Römer, Stefan Aupperle, Dr. Julia Hartl, Helen Thormählen und als Senior-Expertin Dr. Kaps-Richter teilnahmen. Diese aufschlussreiche Diskussion, die auch als Livestream zur Verfügung stand und von zahlreichen jungen Zahnmediziner*innen verfolgt wurde, gab einen interessanten Einblick in die Lebenswirklichkeit. Eindrucksvoll schilderten die jungen Zahnmediziner*innen wie sie Arbeits- und Privatleben in Einklang bringen. Das geschieht auf jeden Fall mit großer Freude am Beruf und auch „mit Vollgas", wie es eine der Zahnärztinnen beschrieb, die vor über zehn Jahren die vom Vater übernommenen Praxis führt. Beim ersten Kind hat sie bis zwei Tage vor der Geburt gearbeitet und bei der nachfolgenden Zwillingsschwangerschaft sich nur wenig vom Vater unterstützen lassen. Ein weiteres Modell, bei dem Kinder und Beruf vereinbar sind, schilderte eine dreifach Mutter, die als angestellte Zahnärztin ihrem Nachwuchs mehr Zeit widmen möchte, mindestens ein Jahr pro Kind. Sie denkt an eine spätere Niederlassung, wobei das Thema Kinderbetreuung eine große Rolle spielen wird. Einer der Teilnehmer hat in seiner Assistentenzeit gesehen, was er nicht möchte und auch der Versuch, mit dem Vater gemeinsam die angestammte Praxis zu führen, war nicht von Erfolg gekrönt. Ein Junior-Senior-Modell verwirklicht er dennoch: Er hat sich niedergelassen und der abgebende bisherige Praxisinhaber ist nun sein Angestellter.

Unterstützung durch den FVDZ
Was alle Teilnehmer auf dem Podium beklagten, war die Tatsache, dass im Studium nie so etwas wie Abrechnung ins Gespräch gebracht wird – und dass man auch in den nur spärlich besuchten Berufskundevorlesungen „nie erfährt wie man von der hochwertigen Zahnmedizin auch leben kann". Der Freie Verband versteht sich als guter und neutraler Mentor mit seinen Abrechnungsseminare, den Existenzgründerprogrammen und auch den Seminaren zum Thema „Führungswechsel in der Zahnarztpraxis“, die „Alt und Jung zusammenbringen" und auch die Bereiche Steuern, Betriebswirtschaft, Versicherungen und Recht berühren, um „die Freien Berufe für die Gesellschaft zu erhalten".

 

Honorarverluste
Nach der Mittagspause führte Versammlungsleiterin Dr. Elisabeth Echternach in die Thematik ein, die Dr. Härer ausführlich beleuchtete: Es ging um die noch immer anhaltende Bewältigung der Coronapandemie, die Kosten für die Hygiene und die mangelnde Wertschätzung der Politik für die Zahnärzteschaft, die sich u.a. in der Verweigerung der Corona-Prämie zeigte, die manche Praxisinhaber aus eigener Tasche finanzierten. Doch nicht nur die Ungleichbehandlung im Vergleich zur Ärzteschaft, auch die staatliche Reglementierung und die ausufernde Bürokratie für die „bis an die Belastungsgrenze" arbeitenden Praxen waren Thema. Und das alles angesichts des Honorarstillstand. Dr. Härer rechnete vor, dass die Verbraucherpreise seit 1991 um 73 Prozent (Stand März 2022) gestiegen sind, der Punktwert der GOZ dagegen seit 33 Jahren unverändert ist. Er rief die Kollegenschaft deshalb auch dazu auf, die Paragrafen 2, 5 und 6 GOZ konsequent zu nutzen, um Honorarverlusten entgegenzuwirken.

Doc Dividende
Wie wichtig eine solide finanzielle Grundlage für Niedergelassene ist, zeigte sich in der lebhaften Diskussion zum Thema „Übernahme von Praxen durch Finanzinvestoren“. Dr. Härer bezog sich auf das ARD-Magazin „Panorama", das im April berichtete, dass Finanzinvestoren Hunderte, möglicherweise sogar Tausende Arztsitze vor allem von Augenärzten und Radiologen aufgekauft haben, eine Liste investorengeführter Praxen gebe es aber nicht. Die Maßnahmen der Politik gegen „Doc Dividende" greifen seiner Ansicht nach jedoch nicht, eine „Übertherapie für die Rendite“ scheint in solchen Praxen an der Tagesordnung. Daraus resultierten auch zwei Anträge des FVDZ BW, der ein verpflichtendes Transparenz-Register fordert und den Gesetzgeber auffordert, „den ungebremsten Zustrom versorgungsfremder Finanzinvestoren aus dem In- und Ausland wirksam zu unterbinden".

Green Dentistry
Ein Herzensthema von Dr. Rainer-Thomas Schlachta, dem stellvertretenden Vorsitzenden, und somit auch des Landesverbandes BW ist seit Jahren Nachhaltigkeit und Umweltschutz. In seiner flammenden Rede zählte Dr. Schlachte die für den Berufsstand relevanten der „17 Ziele für nachhaltige Entwicklung“ der Vereinten Nationen auf, die weltweit auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene greifen sollen. Ein Antrag der Landesversammlung fordert daher auch den Bundesvorstand auf, einen Plan „mit dem Ziel Klimaneutralität für die Bundesgeschäftsstelle und das Berliner Büro aufzustellen".

Dorothea Kallenberg (IZZ Stuttgart)